Es gibt keine roten Linien mehr

Einleitungstext zu unserer Vortragsreihe Staat – Gesundheit – Subjekt, die im ersten Halbjahr 2022 stattfindet.

Zum Programm der Vortragsreihe…


Thesen zur Entgrenzung des Staates

»Ist das die Zukunft? Einlass nur noch mit Impfnachweis – oder mit einer unabänderlichen Patientenverfügung, in der ausdrücklich auf eine intensivmedizinische Behandlung verzichtet wird«, fragt besorgt der Leitartikler der FAZ und gibt sogleich Entwarnung: »Nein, das widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen.« Ein Türchen zu noch autoritäreren Verhältnissen will er sich trotzdem offenlassen, denn: »Allerdings werden die Fundamente des Gemeinwesens auch dann angegriffen, wenn Einzelne nur grenzenlos genießen und sich vor allem unbehelligt ausleben wollen, die Kosten für diesen Delta-Spaß aber die Allgemeinheit tragen soll. Auch das ist eine Form von Sozialismus, der zur Abschaffung des freiheitlichen Gemeinwesens führen kann. […] Die Mehrheit kann das Ausleben von Ego-Trips nicht dulden, deren Kosten für das Gemeinwesen das Gewicht der Beschränkungen aufseiten der unverständigen Minderheit weit übersteigen.«[1]

Wie auf Seite 1 der »Zeitung für Deutschland« tagtäglich der Obrigkeitsstaat herbeigeschrieben wird, verrät, wie sich das Kalkül der autoritären Pandemiepolitik in den fast zwei Jahren Ausnahmezustand zum gesellschaftlichen Wahn verallgemeinert hat. Längst reicht es nicht mehr, die Kostenfälle, als die staatlich versicherte Kranke dem Gemeinwesen immer schon galten, nach dem Preis ihrer Prävention, Behandlung oder der Dauer ihres Dahinsiechens zu berechnen. Um sie als Risiko nicht nur für die Krankenkasse, sondern für die Moral der Notstandsgemeinschaft zu beschwören, bedarf es der Feindmarkierung: Wer dem längst bis in die Intimsphäre der Bürger hineinwirkenden Präventionsdiktat nicht gehorcht, gilt als asozialer Egoist, der sich Lust und Genuss hingibt, gar vom Staat »unbehelligt« bleiben und sich »ausleben« statt bloß überleben will. Nicht nur das Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung, auch das zivile Ethos einer noch nicht nach moralischen Kriterien selektierenden Ärzteschaft geraten in den Verdacht des »Sozialismus«, als der der entbürgerlichten Bürgerklasse nun schon allein der Anspruch auf rechtliche und medizinische Gleichbehandlung gilt. Erstere ist bereits kassiert, seit unveräußerliche Freiheitsrechte weitgehend widerspruchslos zu Privilegien der Mehrheit erklärt wurden; noch ist die Abschaffung der Letzteren den lustvollen Phantasien von der Triagierung Ungeimpfter vorbehalten.

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