Die schöne neue Welt der Postnormalität

Einleitungstext zu unserer gleichnamigen Konferenz, die am 3. Juni 2023 in Frankfurt a.M. stattfindet.

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Am 25. Mai 2023 startet im Studierendenhaus auf dem Campus Bockenheim unter dem Titel »Unhaltbare Zustände« die sogenannte Zweite Marxistische Arbeitswoche. Die Veranstaltung ist als Fortsetzung einer Zusammenkunft von Marxisten und Kommunisten im Jahr 1923 konzipiert, bei der sich unter anderen Richard Sorge, Friedrich Pollock, Georg Lukács, und Karl August Wittfogel in einem Thüringer Bahnhofshotel mit den »Behandlungsarten des gegenwärtigen Krisenproblems« sowie Fragen der marxistischen Methodik und Organisation beschäftigt haben. Das in diesem Jahr stattfindende Remake mit Deutschlands populärstem Heimatkritiker Thomas Ebermann als Headliner klingt nach fast drei Jahren verordnetem Stillstand, der an deutschen Universitäten bereitwillig hingenommen wurde, bemerkenswert kämpferisch. Anlass für die Vortragsreihe ist das 100-Jahre-Jubiläum des Instituts für Sozialforschung (IfS), dessen Leitung sich im Festjahr zum Ziel gesetzt hat, zurückzublicken und Bilanz zu ziehen, um zwecks Neuorientierung aktuelle »gesellschaftliche Krisenphänomene« umfassend in den Blick zu nehmen.

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Sozial-ökologische Kriegswirtschaft

Vortrag & Diskussion mit Thunder in Paradise 
17. November 2022, 19:00 Uhr, VL, Ludwigstraße 37, Halle a.d. Saale
20. Dezember 2022, 19:00 Uhr, Laidak, Boddinstraße 42/43, Berlin

Putins Angriffskrieg bedeute eine »Zeitenwende«, so Kanzler Scholz; er »weckt uns alle aus einem selbstgerechten Traum«, verkündete Christian Lindner. Sie brachten damit das weit verbreitete Bedürfnis der Deutschen zum Ausdruck, mithilfe politischer Krisen auch mental runderneuert zu werden. Schon beeilte sich die Regierung, die Sanktionen, zu denen sie sich plötzlich genötigt sah, zum Katalysator für ihr Koalitionsprogramm umzudeuten: Der Verzicht auf russische Rohstoffe ermögliche die Beschleunigung der Klimawende. »Erneuerbare Energien lösen uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien«, so Lindner. Auf der Berliner Straße des 17. Juni feierte man wenige Tage nach Kriegsausbruch in diesem Geist den Schulterschluss von Umwelt‑, Klima- und Friedensbewegung. In Wahrheit trägt die deutsche »nachhaltige« Energiepolitik erhebliche Mitschuld daran, dass Russlands Kriegskasse mit Gasverkäufen dort gefüllt wurde, wo Atomkraft tabu ist und die Kohleverstromung schleunigst abgewrackt wird.

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Die Zeit der Wölfe. Die Antiquiertheit des Sexus und die Wiederkehr des Naturzwangs

Vortrag & Diskussion mit Magnus Klaue (Leipzig)
27. Oktober 2022, 19:00 Uhr, Saalbau Gallus, Frankenallee 111

In dem Fragment »Interesse am Körper« in der Dialektik der Aufklärung stehen die Sätze: »Der Körper ist nicht wieder zurückzuverwandeln in den Leib. Er bleibt die Leiche, auch wenn er noch so sehr ertüchtigt wird. Die Transformation ins Tote, die in seinem Namen sich anzeigt, war ein Teil des perennierenden Prozesses, der Natur zu Stoff und Materie machte. Die Leistungen der Zivilisation sind das Produkt der Sublimierung, jener erworbenen Haßliebe gegen Körper und Erde, von denen die Herrschaft alle Menschen losriß.« Die Verwandlung des Leibes in den Körper ist nicht einfach Resultat schlechter Verdinglichung, Index eines historischen Prozesses, in dessen Zuge die Menschen einander und sich selbst immer stärker wie Sachen behandeln, sondern zugleich konstitutive Bedingung der Selbstlosreißung der Menschen vom Naturzwang: Selbstobjektivierung, die es den Menschen ermöglicht, sich reflektierend dem gegenüberzustellen, als dessen Teil sie sich erkennen, so wie die Natur erst als »Stoff und Materie« Gegenstand reflektierender Erkenntnis werden kann. Dass aus diesem Prozess keine Versöhnung von Natur und Geist, sondern der kollektive Rückfall von Gesellschaft, von zweiter Natur, in die unerhellte erste entsprang, bezeugen laut Horkheimer und Adorno »alle die Werwölfe, die im Dunkeln der Geschichte existieren und die Angst wachhalten, ohne die es keine Herrschaft gäbe: … sie wiederholen in blinder Wut am lebendigen Objekt, was sie nicht mehr ungeschehen machen können: die Spaltung des Lebens in den Geist und seinen Gegenstand.«

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Russland führt Krieg. Der neue Imperialismus

Vortrag & Diskussion mit Jan Gerber (Halle)
14. Juli 2022, 19:00 Uhr, Saalbau Bornheim, Arnsburger Str. 24

Am 24. Februar trat ein, was seit Wochen vorherzusehen war: Die russischen Panzer, die der Kreml an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen hatte, begannen zu schießen. Sie setzten sich in Richtung Kiew, Charkiv, Mariupol und anderer ukrainischer Großstädte in Bewegung. Bei der Begründung dieser Aggression gab sich Moskau noch nicht einmal Mühe. Dass die russischsprachige Minderheit in der Ukraine von einem Genozid bedroht sei oder die Ukraine Russland angreifen wolle, wie es noch immer im russischen Staatsfernsehen behauptet wird, glaubte man selbst im Kreml nicht. Im Westen war man hingegen erstaunt – so, als hätte der Krieg gegen die Ukraine tatsächlich erst im Februar 2022 und nicht bereits 2014 begonnen, als Russland die Krim annektierte. Bei aller Kritik am Detail wurde Putin entweder Verständnis entgegengebracht oder man bot ihm in vollkommener Verkennung der Dinge, um die es in diesem Konflikt geht, Zugeständnisse an. Diese Politik war nicht nur Ausdruck eines Niedergangs des Westens, der immer weniger dazu bereit ist, für seine historischen Werte einzutreten. Aus ihr sprach zugleich Unwissenheit über die Traditionen und Funktionsweisen Russlands. Vor allem zeigte sich das völlige Desinteresse an den historischen Erfahrungen Ost- und Mittelosteuropas. Während man sich in Berlin, aber auch in Washington, Paris und London nicht vorstellen wollte, dass Moskau tatsächlich Krieg will, wurde in Warschau, Kiew, Tallin, Riga oder Wilna, wo das historische Gedächtnis gar nicht so weit zurückreichen muss, längst vor einem russischen Angriff gewarnt. Die Unterstützung, die der Westen der Ukraine inzwischen zukommen lässt, dient in gewisser Weise auch der Kompensation der eigenen Mitschuld am Ausbruch des Krieges: Ein entschlossenes Auftreten hätte möglicherweise schon 2014 Schlimmeres verhindern können.

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Solidarität mit Israel – Dem Antisemitismus entgegentreten – Stoppt BDS

Gemeinsamer Aufruf mit dem Bündnis gegen Antisemitismus Kassel und der ag antifa zur Kundgebung anlässlich der Eröffnung der »documenta 15«
18. Juni 2022, 14:00 Uhr, Friedrichsplatz, Kassel


Die documenta ist eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst, die weltweit Beachtung findet. Recherchen des Bündnisses gegen Antisemitismus Kassel (BgA) förderten zu Tage, dass zahlreiche Anhänger der BDS-Bewegung und Kritiker des Bundestagsbeschlusses sowohl unter den berufenen Künstlern als auch in den Leitungsgremien der documenta 15 vertreten sind. Auch im Kuratorenteam ruangrupa unterstützen die führenden Mitglieder Ade Darmawan und Farid Rakun Israelboykottbewegungen. Zahlreich sind insbesondere auch in den leitenden Gremien der documenta die Unterstützer des notorisch gegen Israel hetzenden »A Letter against Apartheid«.

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Der entgrenzte Staat. Kritik der Biopolitik

Vorträge & Diskussion mit Thunder in Paradise (Frankfurt a.M.)
14. Mai 2022, 19:00 Uhr, Saalbau Titus-Forum, Walter-Möller-Platz 2

In der Corona-Pandemie ist eine autoritäre Disposition zum akuten Syndrom ausgewachsen, die auf eine tiefe Krise der Subjektivierung verweist. Die Erosion hergebrachter familialer Erziehungsinstanzen schafft Platz für den Staat, der – immer repressiv und produktiv zugleich – die Elternfunktion ausfüllen soll. Das Bedürfnis nach fürsorglicher Führung, klaren Regeln und billig zu habender Anerkennung wächst umso mehr, je mehr der Staat die Bürger, die es schon lange nicht mehr miteinander aushalten, per Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen zusammenpfercht. Wo keine Aussprache mehr möglich ist, wächst die Sehnsucht nach einer Autorität, die so wenig verhandelt wie das Virus selbst.

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Moralismus und Krise. Zur Pathogenese der postbürgerlichen Welt

Vortrag & Diskussion mit Philippe Witzmann (Berlin)
23. April 2022, 19:00 Uhr, Saalbau Bornheim, Arnsburger Str. 24

Der in China längst zur dystopischen Realität gewordene Wunschtraum totalitärer Herrschaft, die postdemokratische Technokratie, nimmt auch im Westen Kontur an. Hier schickt sich ein saturiertes akademisches juste milieu an, den mitunter bis zur manifesten Paranoia gesteigerten Reinheits- und Gesundheitsfimmel an parlamentarischen Auseinandersetzungen und rechtsstaatlichen Verfahren vorbei als allgemeinverbindliche Norm durchzusetzen. In ihrem Eifer, die Gesellschaft zum sterilen Patientenkollektiv rigoros »umzubauen«, übertrumpfen die zivilgesellschaftlichen Erneuerer mitunter noch die Staatsapparate, von denen sie abhängen.

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Factum Brutum. Die Brutalität des Faktischen im Gesundheitsstaat

Vortrag & Diskussion mit Anna Sutter (Berlin)
9. April 2022, 19:00 Uhr, Saalbau Titus-Forum, Walter-Möller-Platz 2

Dass in immer kürzeren Abständen mit Tabubrüchen Tatsachen geschaffen werden, ist seit Ausrufung des Ausnahmezustandes der Normalzustand. Möglich waren und sind flächendeckende Schul- und Betriebsschließungen, Ausgangssperren und Zugangsregelungen, die mittels digitaler Gesundheitspässe kontrolliert werden, nur in einer Gesellschaft, die, während sie in früheren Jahren noch hinter vorgehaltener Hand ihre eigene Abschaffung herbeisehnte, im März 2020 offen suizidal geworden ist.

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Unreine Wissenschaft. Zur kritischen Theorie der Medizin

Vortrag & Diskussion mit Magnus Klaue (Leipzig)
26. März 2022, 19:00 Uhr, Saalbau Titus-Forum, Walter-Möller-Platz 2

Seit März 2020 hat sich das Verhältnis der Bürger westlicher Staaten zur Medizin und zu deren Vertretern in umstürzender Weise verändert. Das häufig genug obskur begründete Mißtrauen gegen einen Berufsstand, dessen Vertreter im Fall sogenannter Kunstfehler, falscher Medikamentation und mißlungener Operationen nur selten erfolgreich verklagt werden können, ist einem verstockt-aggressiven, aber umso fanatischeren Glauben an »die Medizin«, »die Naturwissenschaft«, »die Zahlen«, »die Fakten«, Verlaufskurven, Inzidenzen und Hospitalisierungsraten gewichen. Was im Frühjahr 2020 noch als halbwegs rationale Reaktion auf eine pandemisch auftretende Viruserkrankung gedeutet werden konnte, ist ein Jahr später als Massenparanoia inklusive politisch gepäppeltem Denunziantentum, Todeswünschen gegen Abweichler, Euthanasiedrohungen gegen »Ungeimpfte« sowie geistigen Selbstabdankungen einst vernünftiger Menschen zu sich selbst gekommen.

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Das woke Kapital. Von der verwalteten zur betreuten Welt

Vortrag & Diskussion mit Clemens Nachtmann (Graz)
29.Januar 2022, 19:00 Uhr, Saalbau Griesheim, Schwarzerlenweg 57

Der »soziale Kapitalismus« vor 1989 bezog seine Legitimation daraus, daß er in strikter Gegnerschaft zum »realen Sozialismus« sich zugleich als jenes Gesellschaftssystem präsentierte, das die Ziele, für die der Sozialismus eintritt, besser und effektiver zu erfüllen vermag: daß kein Einzelner den Launen weder der ersten noch der zweiten Natur einfach ausgeliefert sein soll, sondern daß dafür gesorgt ist, daß niemand durch schlechte Arbeitsbedingungen, durch Arbeitslosigkeit, Krankheit etc. in Not gerät, daß darüberhinaus alle durch ihre Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können und Zugang zu Bildung und Kultur haben. Dementsprechend nahm der Staat die formell weiterhin freie Kapitalakkumulation de facto in politische Regie, betrieb aktiv Wirtschafts-, Sozial-, Gesundheits- und Kulturpolitik und die ehemals liberalen Staaten des Westens nahmen allmählich das Gepräge einer »verwalteten Welt« an, wie Adorno und Horkheimer den organisierten Kapitalismus nannten.

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