Die schöne neue Welt der Postnormalität. Von der kritischen zur affirmativen Theorie

Ort:
Saalbau Schönhof (Charlottensaal)
Rödelheimer Str. 38
60487 Frankfurt a.M.

Anfahrt:
S-Bahnhof Frankfurt-West
U-Bahnhof Kirchplatz

Teilnahmegebühr:
7€.

Im Anschluss an die Konferenz findet für alle Teilnehmer eine Abschlussfeier in einem nahe gelegenen Lokal statt. Wer dort nicht nur trinken, sondern zum Preis von 20€ am Buffet teilnehmen möchte, melde sich bitte unbedingt bis zum 26. Mai per E-Mail an: thunderinparadiseffm@gmail.com


Zum Einleitungstext…


Programm

12:30 Uhr
Einlass

13:00 Uhr bis 14:30 Uhr
1. Podium

Geschichte & Erfahrung

Iris Dankemeyer:

Konventionelle und kritische Theorie

Vom Kritikerkreis um Horkheimer war nach dem Exil nur der Alleinunterhalter Adorno übriggeblieben, der die Sache der Politik zu einer Frage der Kultur machte. Wurde zunächst vor lauter Frankfurter Hochschule die frühe kritische Theorie vergessen, beruft man sich neuerdings nun wieder explizit auf die Tradition des Instituts für Sozialforschung und behauptet »nach wie vor« Gesellschaftstheorie zu betreiben – »in einer der Strukturdynamik der Gegenwart angepassten Form« (IfS). Nach dem Nationalsozialismus ist scheinbar wie vor dem Nationalsozialismus. Und Theorie in angepasster Form ist eben das Gegenteil von Kritischer Theorie. Konventionelle Sozialforschung untersucht, wie die Leute eigentlich ihre Brötchen verdienen und wer was vom Kuchen abbekommt. Kritische Theorie war dagegen ein historisch einmaliger Zusammenhang mit einer bestimmten Organisationsform und dem erklärten Ziel, ein Existentialurteil über die ganze Backerei zu entfalten.

Jan Gerber:

Kritische Theorie ohne Auschwitz

Die zweite Verdrängung

Seit dem amerikanischen Exil kreiste das Denken Max Horkheimers und Theodor W. Adornos um den Holocaust. Die Protestbewegung der 1960er Jahre, die sich zumindest teilweise auf die Arbeiten des Instituts für Sozialforschung berief, ignorierte diesen Fluchtpunkt der Kritischen Theorie jedoch. Es dauerte fast zwanzig Jahre, bis ein stärkeres Bewusstsein von der Bedeutung des Holocaust für die Kritische Theorie entstand. Diese Erkenntnis ist inzwischen wieder in Auflösung begriffen. Für die historische Selbstverortung der Kritischen Theorie scheinen die revolutionären Erhebungen der späten 1910er und frühen 1920er Jahre, in deren Kontext auch die nun wiederbelebte »Marxistische Arbeitswoche« gehört, attraktiver zu sein als die Reflexionen auf das Menschheitsverbrechen. Diese Entwicklung dürfte nicht zuletzt auf die Rückkehr der sozialen Frage zurückzuführen sein. Der Begriff der Klasse, auf den dabei zurückgegriffen wird, und der mit ihm verbundene kämpferische Gestus des Aufbruchs scheinen nicht mit der Zerstörung von Erfahrung und Begriff zusammenpassen zu wollen, für die Auschwitz steht. Zugleich ist das Verschwinden des Holocaust aus der Kritischen Theorie Teil eines größeren Prozesses, der im Zusammenhang mit der Umdeutung des Zweiten Weltkriegs und der Erosion historischen Bewusstseins steht.

14:30 Uhr bis 15:30 Uhr
Pause

15:30 Uhr bis 17:30 Uhr
2. Podium

Staat & Subjekt

Tove Soiland:

Der postideologische Totalitarismus braucht keinen autoritären Charakter

Einspruch gegen eine verkürzte Psychoanalyserezeption

Die Erfahrung, dass weite Teile der Linken sich in der Corona-Krise völlig unkritisch hinter den Staat und damit – vermutlich unverstandenermaßen – auch in den Dienst des Kapitals stellten, verlangt nach einer adäquaten Beschreibung dieser neuen ideologischen Konstellation. Der Vortrag reflektiert dieses Phänomen vor dem Hintergrund des Lacan-Marxismus mit seiner Zeitdiagnose einer postödipalen Gesellschaft. Darin führt nicht der »autoritäre Charakter« zur Herrschaftsaffinität, sondern ein Rigorismus, der sich paradoxerweise den Sackgassen einer Liberalisierung verdankt, die die symbolische Kastration verwirft und sich schlussendlich in einem gefräßigen, da unstillbaren Moralismus manifestiert. Die Dimension einer verworfenen Negativität, die im Zentrum der Diagnose der postödipalen Gesellschaft steht und deren Affinität zum Kapitalismus erklärt, kann den monströsen Umstand erhellen, warum der Linken heute eine Funktion zukommt, die historisch gesehen bisher der Rechten vorbehalten blieb. Vor diesem Hintergrund plädiert der Vortrag dafür, nicht länger auf die Psychoanalyserezeption durch Adorno und Horkheimer zurückzugreifen, sondern sich an der heutigen marxistischen Lacan-Rezeption zu orientieren.

Florian Fuchs:

Der Elternstaat

Zur Subjektivierung in der total betreuten Welt

Die frühe Kritische Theorie nutzte die Psychoanalyse, um zu erklären, warum die Menschen sich dem ihren Interessen zuwiderlaufenden kapitalistischen System nicht nur unterwerfen, sondern sich zusätzlich mit den bestehenden Herrschaftsideologien identifizieren. Auch der heutige Konformismus ist erklärungsbedürftig: Die massenhaft scheiternden adoleszenten Individuationen verweisen auf einen radikalen Umbruch der Subjektivierungsweisen. Was in den Auseinandersetzungen zu zeitgenössischen Sozialisationstypen allerdings vernachlässigt oder in Gänze verdrängt wird, ist die Rolle des Staates und seiner Apparate im Sozialisationsprozesses. Im Vortrag wird – unter kritischer Bezugnahme auf das Werk des kürzlich verstorbenen französischen Psychoanalytikers und Rechtshistorikers Pierre Legendre – versucht, die »Elternfunktion« des Staates für eine Zeitdiagnose produktiv zu machen. Laut Legendre kommt dem Staat im Abendland die Funktion des trennenden Dritten zu, wobei der »politische Platz des Staates strukturell jenem des Totems entspricht«. Dabei tritt der Staat als Monumentalsubjekt auf, während das Individuum als Kleinstaat agiert. Der daraus folgende staatsnahe Opportunismus, der allenthalben als progressiver Beitrag zur Weltrettung zelebriert wird, ist Gegenstand der Kritik.

David Schneider:

Der Schatten der Freiheitslehre

Zur Renaissance der Anpassungsideologie

»Eine Sozialgeschichte der Kategorie der Anpassung«, so Theodor W. Adorno in seinen Vorlesungen Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit (1965), wäre »eine Sache, durch die man wirklich bis ins Innerste der bürgerlichen Gesellschaft sehen könnte«. Das »Ideal des Sich-Fügen-Müssens« ist als krisenpolitisch präformierte Anpassungslehre zurückgekehrt. In seinem Buch Anpassung. Leitmotiv der nächsten Gesellschaft will der Soziologe Philipp Staab in zeitgemäßer Diktion auf einen »positiven Begriff der Anpassung« hinaus. Angesichts aktueller Krisen habe man die Orientierung an individueller Selbstentfaltung aufzugeben. Die Verabschiedung des Prinzips der »grenzenlosen Entfaltung des Subjekts« impliziere, so der Schönredner einer kollektivistischen Selbsterhaltungspraxis, eine »Perspektive der Befreiung«, denn »mit dem Verzicht auf Fortschritt wird das spätmoderne Subjekt auch von der Verantwortung für das unglaubwürdig gewordene Projekt gesellschaftlicher Perfektionierung entlastet.« Das Gerücht gegen den angeblich maßlosen Freiheitswillen der in Wahrheit mehr denn je Reglementierten geht einher mit einer Parteinahme für technokratische Krisenlösungsstrategien. An der verkürzten Subjektkritik ist besonders makaber, dass sie dem Individuum allein die Asozialität anlastet, zu der es in der repressiven Gesellschaft immer noch tagtäglich genötigt wird.

17:30 Uhr bis 18:00 Uhr
Pause

18:00 Uhr bis 19:30 Uhr
3. Podium

Kunst & Kritik

Gunther Nickel:

Die Rettung Winnetous durch Ernst Bloch und Theodor W. Adorno

Zur Aktualität der Kritischen Theorie

Es gehört zu den gängigen Vorurteilen über die Kritik der Kulturindustrie durch Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, sie als elitär und ein legitimes Unterhaltungsbedürfnis der Massen verachtend zu denunzieren. Dass es sich dabei um ein Missverständnis handelt, wird zunächst am Beispiel der Rettung Winnetous, dann der Richard Wagners durch Ernst Bloch und Adorno gezeigt, um anschließend Rüdiger Bubners erfahrungstheoretische Kritik an Adorno, die unter anderen von Martin Seel aufgegriffen und fortgeführt wurde, ihrerseits einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Dabei wird sich zeigen, dass eine Ästhetik, die ihren Ausgangspunkt nicht mehr vom Kunstwerk nimmt, sondern nur von der Kunstwahrnehmung, zum einen geschichtslos bleibt, zum anderen die kulturindustriell zugerichtete Konstitution der Subjekte ästhetischer Erfahrung ausblendet und schließlich, jedenfalls im Falle Seels, zu nichts anderem als einer affirmativen Ästhetisierung der Lebenswelt führt. Dagegen wird mit Adorno geltend gemacht, dass wahre ästhetische Erfahrung erst die von etwas ist, »was der Geist weder von der Welt noch von sich selbst schon hätte«.

Magnus Klaue:

Eine unerlaubte Beziehung

Zartheit und Polemik in Karl Kraus’ Sprachlehre

In Untergang der Welt durch schwarze Magie machte Karl Kraus 1922 die »Plage der Ephemeren« als Bewegungsgesetz seines Schreibens namhaft. Die »Ephemeren« sind Mücken, die nur einen Tag leben und die Menschen als schattenhafte Begleiter umspielen. Kraus assoziiert sie mit den Buchstaben der Zeitung (griechisch: ephemeride). Anders als seine Epigonen, die der Plage beikommen wollen, indem sie jede Mücke totschlagen, hat Kraus sich in sie hineinbegeben: »Gegen die Plage dieser Ephemeren gibt es keinen Schutz, als sie unsterblich zu machen. Das ist eine Tortur für sie und für mich. Doch wachsen sie nach und ich werde nicht fertig.«
Kraus hat seinen Feinden die Worte nicht zitierend aus dem Mund genommen, um den Sieg über sie davonzutragen, denn wer mit der Arbeit nie fertig wird, hat auch nie das letzte Wort. Stattdessen sammelte er die sprachlichen Tagesreste, um den Menschen an ihrer Rede vorzuführen, was sie aus sich gemacht haben. An Kraus lässt sich deshalb jene Affiziertheit der Sprache durch ihren Gegenstand darstellen, ohne die Polemik ihren lebendigen Impuls einbüßt und die im 20. Jahrhundert von der Kritischen Theorie bewahrt wurde.

ab 20:00 Uhr
Abschlussfeier (Voranmeldung fürs Buffet unter thunderinparadiseffm@gmail.com)

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