Russland führt Krieg. Der neue Imperialismus

Vortrag & Diskussion mit Jan Gerber (Halle)
14. Juli 2022, 19:00 Uhr, Saalbau Bornheim, Arnsburger Str. 24

Am 24. Februar trat ein, was seit Wochen vorherzusehen war: Die russischen Panzer, die der Kreml an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen hatte, begannen zu schießen. Sie setzten sich in Richtung Kiew, Charkiv, Mariupol und anderer ukrainischer Großstädte in Bewegung. Bei der Begründung dieser Aggression gab sich Moskau noch nicht einmal Mühe. Dass die russischsprachige Minderheit in der Ukraine von einem Genozid bedroht sei oder die Ukraine Russland angreifen wolle, wie es noch immer im russischen Staatsfernsehen behauptet wird, glaubte man selbst im Kreml nicht. Im Westen war man hingegen erstaunt – so, als hätte der Krieg gegen die Ukraine tatsächlich erst im Februar 2022 und nicht bereits 2014 begonnen, als Russland die Krim annektierte. Bei aller Kritik am Detail wurde Putin entweder Verständnis entgegengebracht oder man bot ihm in vollkommener Verkennung der Dinge, um die es in diesem Konflikt geht, Zugeständnisse an. Diese Politik war nicht nur Ausdruck eines Niedergangs des Westens, der immer weniger dazu bereit ist, für seine historischen Werte einzutreten. Aus ihr sprach zugleich Unwissenheit über die Traditionen und Funktionsweisen Russlands. Vor allem zeigte sich das völlige Desinteresse an den historischen Erfahrungen Ost- und Mittelosteuropas. Während man sich in Berlin, aber auch in Washington, Paris und London nicht vorstellen wollte, dass Moskau tatsächlich Krieg will, wurde in Warschau, Kiew, Tallin, Riga oder Wilna, wo das historische Gedächtnis gar nicht so weit zurückreichen muss, längst vor einem russischen Angriff gewarnt. Die Unterstützung, die der Westen der Ukraine inzwischen zukommen lässt, dient in gewisser Weise auch der Kompensation der eigenen Mitschuld am Ausbruch des Krieges: Ein entschlossenes Auftreten hätte möglicherweise schon 2014 Schlimmeres verhindern können.

Weiterlesen „Russland führt Krieg. Der neue Imperialismus“

Volkskunst gegen Israel. Zum Elend des Kulturbetriebs

Dokumentation unserer Rede bei der Kundgebung des Bündnisses gegen Antisemitismus Kassel, die am 18. Juni 2022 vor dem Hauptgebäude der documenta abgehalten wurde. Eine vollständige Dokumentation aller Redebeiträge findet sich hier.


Im Fall der documenta hat man es mit einem Milieu zu tun, in dem ein sich als progressiv missverstehender Antisemitismus gegenwärtig wohl am stärksten und dreistesten um sich greift: dem deutschen Kulturbetrieb. Aktuell zeigt sich dessen Antisemitismuskomplex wieder in der Einladung mehrerer BDS-Unterstützer zur 15. Auflage der documenta. Vor allem die Künstlergruppe ruangrupa, die als Kuratorenteam der documenta mit Vorliebe für die heimatliche Scholle fungiert, tat sich als safe space für Israelfeinde hervor. Deren von postmoderner Seite als natürlich verklärte und gefeierte vermeintliche Ursprünglichkeit ist der Ausgangspunkt für einen archaischen Traditionalismus, der sich in der künstlerischen Tätigkeit des Kollektivs Bahn bricht. Passend dazu hat die ruangrupa auch umstandslos ein gemäß der Homepage der documenta »stetig wachsendes Kollektiv Kulturschaffender und Community Organizer aus Palästina« mit dem vielsagenden Namen The Question of Funding nach Kassel eingeladen. Dessen Vertreter sind nicht grade erpicht auf jüdische Nachbarn, weshalb der Sprecher der Gruppe sich nicht »bloß« für BDS einsetzt, sondern in Interviews offen das Ende der Existenz Israels fordert. Dass Israel immer wieder als künstliches Gebilde und Zerstörer ursprünglicher Gemeinschaft von jenen attackiert wird, die gesellschaftliche Regression als Utopie anpreisen, ist indes kein Zufall: Indem Israel den Antisemitismus bekämpft, verteidigt das Land die Zivilisation, die den Gedanken beinhaltet, dass es auf den Einzelnen nicht bloß als Mitglied von Not- und Schicksalsgemeinschaften ankommt.

Weiterlesen „Volkskunst gegen Israel. Zum Elend des Kulturbetriebs“