Erziehung zur Unmündigkeit

Vortrag & Diskussion mit Thunder in Paradise
18. Juni 2023, 17:00 Uhr, Musikkneipe Session, Gerhard-von-Are-Straße 4-6, Bonn

Das Coronaregime, mit dessen Verdrängung man allenthalben beschäftigt ist, war nur möglich, weil die Einzelnen auf Konformismus geeicht sind auch und gerade dann, wenn sie gelernt haben, sich selbst als nichtkonforme Selbstverwirklichungsabenteurer zu inszenieren. Dazu tragen die ideologischen Staatsapparate (Louis Althusser) wesentlich bei, die heute unter dem Deckmantel der Progressivität die aktive Verwaltung der systematisch Infantilisierten übernehmen. Hierunter sind nicht nur die unmittelbar staatlichen Institutionen zu fassen, sondern auch die staatsnahen Medien und aus dem Boden schießende formal unabhängige Aktivistennetzwerke, die zum Demokratieschutz aktiv ermächtigt werden, derweil sie das glatte Gegenteil bewirken.

Den in wohlfahrtsstaatlicher Hinsicht geizenden aber dafür bio- und bevölkerungspolitisch umso aktiveren Staat gilt es als primäre Organisationsinstanz in diesem Zusammenhang näher zu betrachten: Was unter dem fordistischen Produktionsregime noch gelang – die Leute mit Prosperitäts- und Sicherheitsversprechen einigermaßen bei der Stange zu halten –, ist heute, da die »Drecksarbeit« zu großen Teilen in Billiglohnländer ausgelagert ist und die alten Industrienationen immer mehr Überflüssige zu verwalten haben, weder zu leisten noch erforderlich. Unter diesen Bedingungen wächst dem Staat die Aufgabe zu, die Menschen vorsorglich in Betreuungsobjekte zu verwandeln. Als verwertbare Fähigkeit gilt hierbei mehr denn je die Bereitschaft zu einem ebenso engagierten wie leeren Mitmachertum, dem der Bezug auf den spezifischen Gegenstand des Mitmachens gleichgültig geworden ist und das deshalb besonders demagogisch und bösartig auftritt. Staatlich garantierter Erhalt der Arbeitskraft bedeutet unter diesen Bedingungen nicht bloß Lebensrettung und Gesundheitsschutz, sondern Anstiftung zum ideologischen Opportunismus.

Statt gesellschaftspolitische Kompromisse zu unterstützen, tritt der aktivierende Staat als Akteur sozialer Verunsicherung und permanenter Panikproduzent auf. Dadurch befördert er die Regression, zu der auch die Einzelnen sich selbst verpflichten: Das im dicht gespannten Netz präventionspolitischer Kontrollpraktiken eingespannte Subjekt ist aus der Perspektive der staatlichen Verwalter dem allgegenwärtigen Autonomiegeschwätz zum Trotz ein motivationspsychologisch zu begleitender Betreuungsfall und führt sich vermehrt auch genauso auf. Obgleich über materielle Interessen höchstens noch im Gestus des Sozialfürsorgers gesprochen wird, befeuert die Furcht vor ökonomischer Deklassierung das Buhlen um die Gunst der Apparate. In direkter Folge machen immer mehr Menschen die Sache des Staates zu ihrer eigenen oder sind gar bemüht, ihn noch eifrig zu überbieten.

Unheimlich ist, dass unter diesen Bedingungen der kurrenten Anpassung die Kritik am neuen Krisen-Kollektivismus ausbleibt. Wahlweise rufen linke Soziologen zur grünen Post-Normalität, fordern die kollektivistische Regulation privater Angelegenheiten oder insistieren darauf, dass in Zeiten der Krise der Egoismus keine Rolle spielen darf. Man redet dem falschen Allgemeinen unter Bezugnahme auf die Kritische Theorie das Wort, die nun nach drei Jahren widerspruchslos hingenommener Vortragspause wieder fleißig musealisiert oder im peinlich entpolitisierten akademischen Eventbetrieb als Studentenfutter (Joachim Bruhn) herumgereicht wird. Kein Wunder, dass Politik sich in diesem Verständnis auf die Wahrnehmung erweiterter Staatsaufgaben beschränkt. Die ganz Mutigen dienen sich den progressiven Freakszenen von Antira bis Antisex oder der urdeutschen Erweckungsbewegung für Klimaschutz an. Im Vortrag werden diese Zusammenhänge unter gesellschaftskritischer Perspektive beleuchtet.


Die Veranstaltung wird von der Gruppe KB im Rahmen der Vortragsreihe »Reflexionen zur Ideologiekritik im Moment ihres Zerfalls« ausgerichtet.


Zum Facebook-Event…