Über die Unterwerfung im Studentenmilieu

„Ist das noch unbefangen oder schon debil?“ [1]

Im Februar 2024 zeigte das Titelbild des Zeit Magazins eine mit Hijab und Palästinensertuch gleich doppelt beflaggte Deutsch-Palästinenserin, dazu – als Leitzitat – ihre den Look abrundende Botschaft: »Ich finde es nicht richtig, dass man sich nur auf den 7. Oktober fokussiert.« Die als Differenzierungsvermögen getarnte Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern des 7. Oktober erfüllt allein den Zweck, möglichst betroffen gegen Israel loszulegen. Längst ist die Stimmung auch in den tonangebenden Medien gekippt, sogar anlässlich der Befreiung von vier israelischen Geiseln am 08.06.24 durch die IDF fokussierte man sich ganz im Sinne des Zeit-Covergirls auf die palästinensischen Opfer, so etwa im Spiegel, wo Muriel Kalisch unter der Überschrift »Blutige Befreiung« mit folgendem Teaser startete: »In einer Spezialoperation rette Israel vier Geisel, die die Hamas inmitten von Zivilisten festhielt. Dafür schlug das Militär eine Schneise der Verwüstung in ein Flüchtlingscamp – und tötete wohl hunderte Palästinenser.« Das Kalkül der Hamas, die wusste, dass die israelische Armee den Einfall nur durch einen Krieg würde beantworten können, ist aufgegangen. So lange Israel am notwendigen Ziel festhält, die Hamas zu besiegen und die Geiseln zu befreien, hat die Armee keine andere Wahl, als die auf Verschanzung von Terroristen ausgerichtete Infrastruktur in Gaza anzugreifen, wobei auch zivile Opfer nicht zu vermeiden sind. Diese können einer notorisch israelkritischen Weltöffentlichkeit jedoch immer wieder als Beweis völkermörderischer Absichten präsentiert werden. Dass es allerdings derart gut läuft, dass die gesamte Staatengemeinschaft Israel im Stich lässt und auch Länder wie Spanien, Irland oder Norwegen, in denen der Antisemitismus noch keine offizielle Staatsreligion ist, außenpolitisch handeln, als wäre es so, dürfte selbst die solidaritätsverwöhnten Verantwortlichen des 7. Oktober überrascht haben.

Entsprechend ausgelassen war die Stimmung in den Protestcamps an US-Universitäten, wo sich seit einigen Wochen bedingungslos pro-palästinensische Studenten medienwirksam als basisdemokratischer Volksgerichtshof gegen Israel inszenieren. Sie sind von der eigenen Propaganda der Tat offenkundig entzückt; lauter brave Studenten, die sich, auch durch permanenten Zuspruch aus der progressiven Schickeria ermuntert, zur bastelnden, redundant grölenden und klatschenden Hetzmeute gegen Israel formieren. Ihre Veranstaltungen erwecken den Anschein sektenhafter Beschwörungsrituale bei denen die immergleichen Schwachsinnsparolen wiederholt werden. Teil des Spektakels waren auch islamische Massengebete, die in Form und Inhalt auf die öffentlich zelebrierte Bejahung kollektiver Unterwerfung hinauslaufen. Kein Wunder also, dass der iranische Revolutionsführers Khamenei sich als Patron der studentischen Erweckungsbewegung angesprochen fühlte und den Niederknieenden in einem Brief zusicherte, sie stünden auf der richtigen Seite der Geschichte. Palästina verkörpert in diesen Gruppenexzessen des Erlösungsantisemitismus die reine Unschuld. Dass die israelische Reaktion auf den 7. Oktober, der von ganz normalen Palästinensern mitbegangen und gefeiert wurde, als Genozid bezeichnet wird, ist eine groteske Verkehrung der Tatsachen. Genozidale Absichten verfolgt sehr wohl die Bevölkerung von Gaza, deren Mehrheit die Zerstörung Israels ersehnt. Genau das bezeugen Umfragen, aber auch die Tatsache, dass es keine Revolte gegen die von der IDF in die Defensive gezwungene Hamas gibt. Auch die Geiseln werden inmitten von Wohngebieten gefangen gehalten, von Solidarisierungen mit ihnen seitens der palästinensischen Gesellschaft ist nichts bekannt. Auch darin beerbt sie den Nationalsozialismus: Von den ganz normalen Palästinensern ist heute so wenig die Rede wie von den ganz normalen Deutschen nach 1945.

Es dauerte nicht lange, bis sich auch an deutschen Universitäten die ersten Aktivisten in Zeltlagern zusammenrotteten. Die Form des Settings verweist auch hier auf erpresserische Politikverständnis der Besetzer, denen kaum Grenzen gesetzt wurden: Keiner soll von ihren Belästigungen und Drohungen verschont bleiben. Hanna Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands, konstatierte mit Blick auf die letzten Wochen, dass jüdische Studenten ihre Universitäten oftmals nicht mehr angstfrei betreten können. Die Drohszenarien und Ausgrenzungserfahrungen, so Veiler, erinnerten viele an Zeitberichte von NS-Überlebenden.[2] Ihre mit Vorsicht formulierte Bezugnahme auf den Nationalsozialismus ist keine Übertreibung. Das Erobern des öffentlichen Raumes, der zur judenfreien Zone wird, war in der Frühphase ihrer Machtergreifung ein wesentliches und offen erklärtes Ziel der Nazis. Das rote Dreieck, mit der die Hamas ihre Feinde markiert und dass inzwischen in Berlin auf Hausfassaden und an Professorentüren prangt, bezeugt wie ernst die Lage ist.

Die Protestcamper lassen keinen Zweifel daran, dass ihnen der 7. Oktober noch nicht reicht. Die allgegenwärtigen Vorwürfe, unschuldige Palästinenser würden von rechten Israelis verfolgt, sind pathische Projektionen von Leuten, die Israel keine Ruhe lassen können, die Frieden predigen, aber die Gewalt fetischisieren. Trotzdem hat keine der unzähligen antisemitischen Aktionen der letzten Wochen in den Medien auch nur annähernd eine Aufregung hervorgerufen, die etwa den Reaktionen auf das fremdenfeindliche Geblök der spätpubertierenden Sylter Schampusfraktion auch nur vergleichbar wäre. Währenddessen klagt die deutsche Politik Israel immer dreister an: Die Verteidigung gehe zu weit, heißt es allenthalben. All das bestätigt nur, was schon vor dem 7. Oktober klar war: Die Sonntagsreden sind Makulatur, ritualisierte Lippenbekenntnisse. Der Kampf gegen rechts erfüllt inzwischen nicht mehr bloß die Funktion der Selbsterhöhung mit der Hoffnung auf kollektive Katharsis, sondern die der Ablenkung vom Antisemitismus. Der deutsche Volksantifaschismus ist eine großangelegte Effekthascherei mit Mitteln des kulturindustriellen Massenbetrugs. Aus Reklamegründen rekurriert man ständig auf den historischen Nationalsozialismus, dessen Kern der Vernichtungsantisemitismus war – zu dessen spezifischer Gewalt fehlt aber im zeitgenössischen Selbstinszenierungstheater jeder Bezug.

Elite und Abschaum

Formale Bildung verhindert nicht, dass Menschen der antisemitischen Paranoia verfallen. Im Gegenteil, Antisemiten sind im Regelfall mit Fakten vollgestopfte Gerüchteproduzenten, deren partielle Informiertheit sie gegen jede Erfahrung abdichtet. Nach Adorno ist die Bildungsidee – »ähnlich wie der Rassewahn« – in spezifischer Weise zum kollektiven Narzissmus prädestiniert, weil es nicht viel brauche, um sich »zu Gliedern eines Höheren, Umfassenden« zu machen. Einst genügten ein Schulabschluss oder die Herkunft aus besserem Hause, heute reichen das Bekenntnis zur Diversität oder die am eigenen Text bewerkstelligte Sprachverhunzung, um sich in die Gemeinde der Besserwissenden einzureihen. Anders als die Bildung, die im 18. Jahrhundert noch Fermente der Kritik gegen etablierte Mächte einschloss, ist Halbbildung im Spätkapitalismus ein Mittel des Vorwärtskommens. »Weil jede Halbbildung gleichwohl an die traditionellen Kategorien sich klammert, die sie nicht mehr erfüllt, so weiß die neue Gestalt des Bewußtseins unbewußt von ihrer eigenen Deformation. Darum ist Halbbildung gereizt und böse; das allseitige Bescheidwissen immer zugleich ein Besserwissen-Wollen.«

Daher auch das destruktive Potential »unter der Oberfläche des herrschenden Konformismus«.[3] Bildungsspießer, die sich die abgeschmacktesten Bildungswaren aneignen, um das Sozialprestige zu erhöhen, neigen auch zur Vernarrtheit in die Kulturtraditionen des eigenen Verbandes. Deutsche Kulturmenschen waren immer schon besonders anfällig für das Gefühl, gedemütigt zu werden, was sowohl die Geschichte des Antisemitismus als auch die des Antiamerikanismus hinlänglich belegen. Bereits im 19. Jahrhundert führten Leute mit Hochschulabschlüssen die antisemitische Bewegung in Deutschland an. Für ausufernde Abhandlungen, warum ausgerechnet Juden fürs Unglück der Deutschen verantwortlich sein sollen, hatten hingegen die Arbeiter im Normalfall weder Zeit noch genug Energie.

Hochschulhass

Bei der Auswertung von Zuschriften an den Zentralrat der Juden in Deutschland und die israelische Botschaft stellte die Linguistin Monika Schwarz-Friesel bereits vor einigen Jahren fest, dass die Pöbler zumeist Universitätshintergrund haben: Über die Hälfte der antisemitischen Traktate kamen von Professoren, Ärzten und Lehrern. Dass Israel überall dort, wo sich gegängelt fühlende Deutsche querdenken, das vorzügliche Objekt der Wahl ist, liegt daran, dass die Deutschen den Juden Auschwitz nicht verzeihen können. Im Namen des Demokratieschutzes soll den Juden – und bisweilen ausgesprochen kumpelhaft – nachgewiesen werden, dass sie auch nicht besser sind als die Nazis. Den zeitgemäßen Antisemitismus repräsentieren nicht irgendwelche Krawallbrüder, sondern Verantwortliche in Funk, Fernsehen und Politik, die nicht mehr von Kindermördern schwadronieren, sondern im Angesicht des wachsenden militanten Antisemitismus auf Ausgewogenheit, Differenzierung und Fakten pochen.

Ergänzt, oder besser: beerbt wird dieser schon leicht angegraute Antizionismus der Wiedergutgewordenen von den zeitgemäßen und vitaleren Aufwallungen im Zeichen des Postkolonialismus, der Israel als Avantgarde der Verderbnis und als Hauptfeind präsentiert. Auch hier kommen die Stichworte aus der Universität, wo eine sich als jungdynamisch und rebellisch verstehende Bewegung den Aufstand probt und dabei entgegen allen anderslautenden Bekundungen wenig zu befürchten hat. Es zeigt sich dabei, dass die in Sachen Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft betont Übersensiblen ziemlich planlos sind, wenn es um gesellschaftliche Verhältnisse geht und vor allem dann alle guten Absichten vergessen, wenn sich ihnen die Möglichkeit bietet, ziel- und hemmungslos gegen den jüdischen Staat zu opponieren, der ihnen – gegen jede Evidenz – als weißes als Kolonial- und Siedlerprojekt gilt. In einem Text für die NZZ vom 16.05.2024 stellte Michael Wolffsohn fest, dass die Professoren, die sich im Mai 2024 öffentlich mit den Verantwortlichen der studentischen Ausschreitungen gegen Israel solidarisierten, aus ganz bestimmten Fächern kommen: »Meine quantitative Auswertung von Berliner und anderen deutschen Bestausgebildeten, also Hochschullehrern, die sich Anfang Mai 2024 namentlich und öffentlich mit den antijüdischen Demonstranten solidarisierten, zeigt ein deutliches Übergewicht an Islamwissenschaftern, Arabisten, Migrationsforschern, Philosophen, Soziologen, Ethnologen, Historikern oder Politikwissenschaftern – also Lehrenden weicher Fächer«, also solcher,  in denen es vermehrt auf Gesinnung ankommt, in denen der Verzicht aufs Denken und der Verlust der Sprache gute Voraussetzungen fürs Vorwärtskommen sind.

Das Elend im Studentenmilieu

Dass Angehörige von sich selbst als fortschrittlich verstehenden Milieus zu Menschenschindern aufschauen, ist keine neue Erkenntnis. Noch vor der Hochphase der Studentenproteste in den 1960er-Jahren kritisierten die Situationisten die blinde Gegenidentifikation seitens der studentischen Opposition: »Die abstrakte Feindseligkeit gegenüber ihrer Gesellschaft führt sie dazu, ihre eigenen offensichtlichsten Feinde – die sog. sozialistischen Bürokratien, China oder Kuba – zu bewundern und zu unterstützen. […] Ihre halblibertäre und führungslose Organisation läuft jeden Augenblick Gefahr, in die Ideologie der ›Gruppendynamik‹ oder die abgeschlossene Welt einer Sekte zurückzufallen.«[4]

Als materielle Basis des politischen Elends im Studentenmilieu bestimmten die Autoren die als »Einführungsritual« beschriebene Studentenphase, die dadurch, dass sie der Lohnarbeit noch nicht direkt unterworfen ist, den Schein von relativer Freiheit evoziere. Während die proletarische Jugend in die offene Ausbeutung eintritt und in Konfrontation mit der gesellschaftlichen Totalität der Warensklaverei unmittelbar individuiert wird, haben die Studenten im abgeschirmten Biotop der Universität die Möglichkeit, einen Lebensstil zwischen Boheme, Kultur und politischem Aktivismus zu perfektionieren, jedoch um den Preis der esoterischen Verblödung. »Denn der Student freut sich mehr als alle anderen, politisiert zu sein.« Politik ist hier keine leidenschaftliche Kritik, sondern milieuspezifisches Mitläufertum. »Mit schwachsinnigem Stolz nimmt er an den lächerlichsten Manifestationen teil.« Im Gegensatz zu dem von den Situationisten angegriffenen studentischen Hedonismus dominiert im politisierenden Palästinamilieu eine unvergleichbar trostlosere Mischung aus Opferkult und gleichermaßen infantiler wie militanter Ästhetik: Wassermelone und Maschinengewehr.

Was sich heute an deutschen Universitäten derzeit abspielt ist (auch) Folge einer desaströsen Hochschulpolitik, die mit der Einführung von Bachelor- und Masterabschlüssen seit 1999 zu einer tiefgreifenden Veränderung der Struktur aller Studiengänge führte. Theorie und Wissen wurden dabei gegenüber vermeintlich praxisrelevanten Kompetenzen deutlich geringer gewichtet, was es in den Geisteswissenschaften leicht machte, bloße Theoriesurrogate wie die Gender Studies, die Critical Whiteness Studies oder die Post-Colonial Studies zu etablieren, die einen radikalen Subjektivismus mit einem nicht minder radikalen Moralismus verbinden und an die Stelle einer Arbeit am Begriff oder der Ausbildung eines historischen Bewusstseins setzen. Wer auf dieser Basis dann unentwegt damit beschäftigt ist, sich auf die Wahl der richtigen Pronomen, das achtsame Bezeichnen sexueller Devianz und auf die geringsten Anzeichen von strukturellem Rassismus zu konzentrieren, dem fällt schon gar nicht mehr auf, dass mit der Spruchformel »From the River to the Sea« ein Palästina gefordert wird, in dem Juden genauso wenig ein Lebensrecht haben wie in allen Israel umgebenden arabischen Staaten.

Angesichts dieser das Bewusstsein trübenden Politisierung in Permanenz stellt sich die Frage, welche einstige sachbezogene Berufspraxis außerhalb von staatlich finanzierten Projekten zur Förderung einer politisch korrekten Haltung das zeitgenössische Studium überhaupt ermöglichen kann. Sie taugen kaum noch zur Rolle »kleiner Kader« in den Funktionshierarchien der Fabriken und Büros, wovon im Text der Situationisten die Rede ist. Zumal progressiv Politisierte auch nach dem Studium unwidersprochen weiterwurschteln können, denn nahezu alle Politikfelder, vom Antirassismus über den Klimakampf bis zur Diskriminierungsforschung, werden einstweilen als unantastbar deklariert, obwohl sie mit dem Antizionismus offen kollaborieren. Als »Elite« lässt sich die woke Hochschulavantgarde nicht mehr bestimmen, auf Beschäftigungslosigkeit läuft ihr rein ideologisches Arbeitskraftprofil im postmodernen Kapitalismus dennoch nicht hinaus. Die progressive Weltanschauung im Zeichen von Achtsamkeit, Diversität und Vielfalt wird betriebspsychologisch als Motivationsquelle für stumpfsinniges, aber zufriedenes Rödeln geschätzt und firmiert als Marketing im globalen Kapitalismus nach außen, schon deswegen wird politisch konformes Haltung-Zeigen als niemals endender Opferdienst zelebriert.

Palästinensische Schule

Die antisemitische Mobilisierung lässt sich nicht hinreichend mit der Spezifik des zeitgenössischen Studiums erklären. Eine entscheidende Rolle spielt bei diesen Aufwallungen der Islam, in dessen Dienst der hochschulpolitische Aktivismus gegen Israel objektiv steht. Der politische Islam nutzt den arabisch-israelischen Konflikt zur Agitation von Moslems im Westen; woke Westler sind als nützliche Idioten willkommen. Auf dem Westend-Campus der Goethe Universität residiert der Hamas-Unterstützerkreis Ende Mai knapp eine Woche lang auf dem Campus, neben dem dort platzierten Adorno-Denkmal. Da das Szene-Idol Judith Buttler von der Stadt Frankfurt bereits den Adorno-Preis verliehen bekommen hat, würde es nicht überraschen, wenn in einem der kommenden Jahre das Palästinakollektiv die Trophäe überreicht bekommt. Sie fremdeln allerdings mit Adorno. Auf einem im Camp aufgestellten Plakat hat man die »Frankfurter« durch die »Palästinensische Schule« ersetzt. Man sollte nicht allzu sehr am Begriff »Frankfurter Schule« hängen, zumal die heutigen Vertreter der Kritischen Theorie mit ihrem Versuch, den muffigen linken Aktivismus wiederzubeleben und ihm das traditionsreiche Theorieetikett zu verpassen, wenig zur Entzauberung der zeitgenössischen Regression beizutragen haben. Dass das letzte Mal, als die Arbeit der »Frankfurter Schule« durchkreuzt und ersetzt wurde, es die Gestapo war, die im Juli 1933 das Institut für Sozialforschung wegen »staatsfeindlicher Bestrebungen« schließen ließ und noch die letzten ihrer – vielfach jüdischen – Mitarbeiter ins Exil getrieben hat, sollte allerdings bekannt sein.

Wenn es heute so etwas wie eine palästinensische Schule gibt, dann ist es die des Judenhasses. Als Provokation gilt ihren Eleven die Kritische Theorie schon deswegen, weil deren Begründer die Kritik des Antisemitismus ins Zentrum ihrer Arbeit stellten. Zur Austreibung der bösen Geister wurden auf dem Frankfurter Westend-Campus orientalische Gruppentänze aufgeführt, dazu dieselben bescheuerten Parolen wie zuvor in den USA: Apartheid, Genozid, From the River to the Sea. Für die politische Bildung in Sachen antimuslimischer Rassismus sorgte etwa der Referent Mohammed Naved Johari, der nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo klagte: »Viele der Karikaturen, welche Charlie Hebdo zeichnete, unterscheiden sich in nichts zu dem, was im Nationalsozialismus in Bezug auf, oder besser gesagt gegen Juden gezeichnet wurde.«[5]

In einer aktuellen Befragung von mehrheitlich weiblichen Studenten der islamischen Theologie und muslimischen Religionspädagogik, also künftige Islamlehrer, geben 47% der Befragten an, dass sie das Existenzrecht Israels ablehnen. Knapp 40% sind der Auffassung, Juden hätten »zu viel Macht und Einfluss in der Welt«.[6] Sie treffen auf Schüler, die jetzt schon auf den Koran schwören. So ergab eine nicht-repräsentative Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), dass 45,8% der befragten Muslime der Aussage zustimmen, ein islamischer Gottesstaat sei die beste Staatsform.[7]

Auch im Kreis des Frankfurter Protestcamps sind stramm sitzende Kopftücher in hoher Zahl zu sehen. Kaum verwunderlich, denn seit Jahren ist in Frankfurt ein massiver Anstieg von Kopftüchern im Stadtbild zu beobachten, insbesondere bei jungen Frauen, auch an der Universität. Sie repräsentieren das Wiedererstarken des orthodoxen Alltagsislam in der jüngeren Generation der Einwanderer, die ihr Unbehagen gegenüber dem Westen durch demonstrativen Stolz auf Herkunft und Tradition kompensieren. In seinem Buch Sex, Djihad und Despotie analysiert Thomas Maul das Kopftuch als genuin politisches Dominanzgehabe zwecks narzisstischer Selbsterhöhung. »Zugleich erhebt das Kopftuch seine keuschen Trägerinnen zumindest dort, wo kein staatlich durchgesetzter Schleierzwang herrscht, über jene Frauen, denen die (religiöse) Stärke und Kraft angesprochen wird, sich für die Verschleierung und die damit einhergehenden Entbehrungen zu entscheiden.«[8]

Die Provokationen der Protestierenden richten sich auch an diejenigen, die überall auf der Welt gegen lebensbedrohliche islamische Herrschaft kämpfen. Auf einer pro-palästinensischen Demonstration in Frankfurt präsentierten drei Schleierfrauen stolz ein Konterfei von Ayatollah Khomeini ­ – ein Hohn auch auf alle gegen Unterdrückung kämpfenden Frauen im Iran. Weil die von der Palästina-Fraktion erteilte Absage an eine befreite Menschheit nicht von rechts kommt, darf man nicht mit Massenprotesten, Medienkampagnen oder Gegenstrategie-Konferenzen des Instituts für Sozialforschung rechnen.

Vielfalt pur

Spürbarer Widerstand gegen die islamofaschistische Landnahme ist nicht nur ausgeblieben, weil gewöhnliche Studenten im Normalfall zu offenkundig dem Fanatismus verfallenden Krachmachern auf Distanz gehen. Es ist jedoch nicht bloß die habituelle Indifferenz von Studenten, deren einsozialisiertes Anlehnungsbedürfnis die Bereitschaft zum Widerspruch milieuübergreifend schwächt. Das sogenannte Lernen aus der Geschichte befähigt zwar zur moralischen Verurteilung von Nazis oder solchen, die man dafür hält, nicht aber zur Kritik des Antisemitismus. Dabei sollte bereits die charakterliche Verkommenheit von Leuten, die auf die Gräber der am 7. Oktober Ermordeten spucken, genügen, um sie als Feinde auszumachen. In Frankfurt blieb es pro-israelischen und jüdischen Initiativen vorbehalten, das Feldlager des Hamas-Fanclubs zu problematisieren.

Die Umgangsformen der betreuten Gesellschaft berühren auch die Sphäre des Politischen. Wo es darum ginge, mit Polemiken und Erledigungen zur Aufklärung über einen Menschheitsfeind beizutragen, wird bloßer Verständigungskitsch produziert. Allenthalben betont man die jüdische Opferrolle und wirbt für einen respektvollen Umgang miteinander, ganz so als glaubte man an das postmoderne Dialogtheater, das über jede gesellschaftliche Destruktivität hinwegtäuschen soll. Bei denjenigen, denen man auf diese Weise zivilisatorische Selbstverständlichkeiten beibringen will, erzeugt die sanftmütige Gesprächsbereitschaft allerdings nur noch mehr Dominanzgehabe. Ein Bedürfnis, das auch nicht durch Hinweise auf die jüdische Universitätsgeschichte abgemildert wird, die auch noch in einem Stil formuliert werden, der sogar von außerhalb kommende Museumsbesucher langweilen würde:

»Frankfurt ist ein Ort des Zusammenlebens von Jüdinnen:Juden, Muslim:innen und Angehörigen vieler anderer religiöser und nicht-religiöser Identitäten. Unsere Universität verdankt ihre Existenz maßgeblich dem Einfluss jüdischer Persönlichkeiten. Besonders prägend war Wilhelm Merton, der die Gründung der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften an der Frankfurter Universität vorantrieb. Durch sein Engagement für moderne Sozialwissenschaften schuf er ein Klima, in dem Max Horkheimer und Theodor W. Adornos Institut für Sozialforschung zur weltberühmten Frankfurter Schule aufblühen konnte.«[9]

Dass derart geschrieben wird, ist bei näherer Betrachtung jedoch kein Anlass zum Spott. Der Reklameton reflektiert die Kräfteverhältnisse zwischen Antisemiten und ihren Gegnern, die es wohl nötig machen, dass die Bemühungen um Deeskalation geradezu verzweifelt klingen. Dass ausgerechnet die Vielfalt, hinter der islamische Eiferer sich heute verstecken, beschworen wird, konterkariert allerdings das gutgemeinte Anliegen endgültig:

»Diese Vielfalt, da sind wir uns sicher, wird von der weiten Mehrheit unserer Kommiliton*innen und den Angestellten der Universität als unverhandelbare Grundlage unseres Miteinanders verstanden.«

Ganz oben auf der Unterzeichnerliste: Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg, zugleich Dezernentin für Diversität, Antidiskriminierung und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie protegierte noch vor ein paar Wochen die Frankfurter Ramadanbeleuchtung und verharmloste den viralen Antisemitismus schon dadurch, dass sie ihn in eine Reihe mit dem Popanz der angeblichen Muslimfeindlichkeit stellte: »Es sind Lichter des Miteinanders, gegen Vorbehalte, gegen Diskriminierungen, gegen antimuslimischen Rassismus und auch gegen Antisemitismus.« Diese Besinnlichkeitsprosa, die vor allem bezeugt, dass es schon ziemlich finster ist, steht exemplarisch für die Verkennung der islamischen Gegenaufklärung. Die Umarmungen des Islam gehen damit einher, dass die mit seinem Aufschwung verbundenen Verfinsterungen und Verrohungen in einer Weise verschwiegen werden, die wohl nur noch massenpsychologisch, unter Bezugnahme auf Abwehrformen wie die von Anna Freud beschriebene „Identifizierung mit dem Angreifer“ zu erhellen ist.

Eine authentische Sprecherin der Vielfalt ist auch die in Talkshows und in anderen Verblödungsformaten dauerpräsente Islampromoterin Khola Maryam Hübsch, die in der Sendung Markus Lanz vom 30.05.2024 für eine globale Intifada gegen Israel werben durfte. Die Einladung zum Schlusswort durch den Moderator nutzte sie zu einer Volksansprache im astreinen Propagandastil, die wirkte, als hätte sie vorm Spiegel lange geübt: »Zählt das noch was – das internationale Recht? Das humanitäre Völkerrecht? Oder ist es ok, wenn das brennt? Wir haben am Anfang über Solingen gesprochen. Da sind Frauen verbrannt, Kinder, Säuglinge. Gerade jetzt, wo wir hier diskutieren, in Rafah, brennen Frauen, Kinder, Säuglinge, es brennt das Völkerrecht, es brennt das Menschenrecht, es brennt die Moral. Es brennt die Gerechtigkeit und wir gucken zu. Wir machen mit und wir unterstützen das als deutsche Regierung. Und das ist nicht das Ergebnis von deutscher Geschichte. Das ist nicht die richtige Lehre von deutscher Geschichte, dass wir die Kriegsverbrechen gerade unterstützen. Das ist der massive Vertrauensverlust, den wir gerade erleben.«[10]

Dass der als rassistisch mordend verhetzte Judenstaat aus purer Rachsucht nicht nur Gaza, sondern gleich die moralischen Grundlagen der Welt in Gänze abfackeln soll, dass Israel in einer im akademischen Mittelstand beliebten Fernsehsendung als Weltunglück ausgemacht wird, ist ein Vorstoß, der auch die anderen Gäste immerhin ein wenig irritierte. Doch die in der islamischen Ahmadiyya-Sekte aktive Expertin für interreligiösen Dialog kann unmittelbar an die Bilderproduktionen des öffentlichen Rundfunks anschließen. Wenn es in den tonangebenden Medien um den Krieg in Gaza geht, werden zerstöre Häuser, verzweifelte Menschen und authentische Stimmen zusammen mit den Zahlen der Hamas und kritischen Kommentaren von Besorgten allabendlich zu einer Demonstration gegen den israelischen Krieg, ohne dass auch nur ansatzweise noch die journalistische Absicht zu erkennen ist, im Bewusstsein zu halten, warum und gegen wen Israel diesen Krieg führt.

Hübsch, die immer noch im hessischen Rundfunkrat tätig ist, kann sich als Stimme einer wachsenden Masse von Leuten betrachten, die sich allzu gerne in einer Zeit als Opfer präsentieren, in welcher der Islam vehement in die Öffentlichkeit drängt. Vom hochgestreckten Tauhid-Finger eines deutschen Fußballnationalspielers, über online mobilisierte Kalifats-Demonstrationen für Kalifate und das Anwachsen von Gegengesellschaften, bis hin zum Blutrausch gegen Islamkritiker wie zuletzt in Mannheim.

All dem gegenüber zeigt sich die hiesige Gesellschaft unwillig bis überfordert. Nicht mal im Namen individueller Menschenrechte schafft man es, der islamischen Herrschsucht, die routiniert als verfolgende Unschuld agiert, etwas entgegenzusetzen. Das Unbehagen gegenüber dem Offenkundigen erscheint inzwischen als Notwehr-Kreuz auf dem Wahlzettel. Davon profitieren vor allem die Unionsparteien und die AfD. Die Union jedoch lässt sich im Zweifelsfall die Themen von den Grünen diktieren; die kaum noch Konservativen bekümmert der orthodoxe Alltagsislam nicht, sie kaprizieren sich, sobald es opportun ist, verallgemeinernd auf die Themen Migration und Abschiebung und treffen damit auch solche, die mit der kurrenten Gewalt überhaupt nichts am Hut haben oder gar ihre Opfer sind. In der AfD verblasst die Islamkritik angesichts der Dauerproduktion von Hässlichkeiten, während der völkische Parteiflügel bisweilen Gefallen am Islam findet, so lange dessen Exekutoren die Menschen nur in anderen Ländern schinden. Der Defätismus sollte jedoch keinen wundern, nicht in einer Partei, die bereit ist, aus purem Hass auf den Westen mit Russland, China und dem Iran zu kollaborieren. Der Unterschied zur Islamapologie der Progressiven besteht darin, dass die genannten Länder relativ weit weg sind, während der Islam hier nur mit einem größeren Aufwand in Sachen Selbsttäuschung verdrängt werden kann.

Entweder ist die sukzessive Islamisierung in bestimmten Gegenden gewünscht, weil sich die koranverbriefte Tugend der Bescheidenheit gut mit dem Kapitalverhältnis verträgt und man zwecks Frieden auf zufriedene Moslems setzt. Oder die dem abstrakt Guten quasi-religiös verpflichtete Zivilgesellschaft ist den islamischen Strategen intellektuell schlichtweg unterlegen, wodurch Houellebecqs alte These, wonach der Islam die dümmste aller Religionen ist, doch noch widerlegt wäre. Beides macht die Bedingungen für die mehr denn je notwendige, aber meistens ungehörte Kritik der herrschenden Zustände nicht leichter. Diese hat sich nicht auf den Dschihadismus zu beschränken, der vor allem ein Fall für die Exekutive ist. Es geht hier und heute um die ganz normalen Deutschen mit und ohne Islamhintergrund, die gegen Israel politisieren. Ihnen gilt es im Sinne der Aufklärung auf den Nerven herumzutrampeln.

Thunder in Paradise


[1] Herta Müller über den 7. Oktober und seine Folgen, 03.06.2024 (FAZ).

[2] Das von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) organisierte Gespräch zwischen Hanna Veiler und Dan Diner ist auf Youtube (22.05.2024) zu sehen.

[3] Theodor W. Adorno: Theorie der Halbbildung. In: Soziologische Schriften. Frankfurt am Main, 1985, 117.

[4] Situationistische Internationale: Über das Elend im Studentenmilieu (1966). http://www.bildungskritik.de/Texte/ElendStudenten/elendstudenten.htm

[5] https://www.monajo.de/2015/01/warum-ich-gegen-die-anschlaege-in-paris-und-nicht-charlie-bin/

[6] https://hpd.de/artikel/erfolge-des-islamistischen-marsches-durch-institutionen-kritisch-kommentiert-22235

[7] https://www1.wdr.de/nachrichten/dieanderefrage-scharia106.html

[8] Thomas Maul: Sex, Djihad und Despotie. Zur Kritik des Phallozentrismus. Freiburg, 2010, 202.

[9] Zu finden auf der Facebook-Seite des Jungen Forums der DIG Frankfurt, 20.05.2024.

[10] Markus Lanz, ZDF-Mediathek, 30.05.2024.