Front Antinational

Schriftfassung eines Einleitungsreferats, vorgetragen bei der Veranstaltung »Trumps Amerika, Israel und das Unbehagen Deutsch-Europas« am 23. Mai 2017.


Deutschland steht endlich wieder auf der richtigen Seite der Geschichte. Die Obama-Jahre hatten es den Deutschen zwischenzeitlich schwer gemacht, sich als die vernünftige Alternative zur amerikanischen Hegemonialmacht zu profilieren. Zu sympathisch war das demokratische Staatsoberhaupt mit dem gewinnenden Lächeln, zu lavierend seine Politik. Aber spätestens seit Donald Trump als neuer Präsident vereidigt ist, versucht man sich an einer Fortsetzung des Konfrontationskurses gegen Amerika, der im Schmieden der Koalition der Unwilligen gegen den als Kriegstreiber geschmähten George W. Bush seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Die darauffolgende Euphorie für Obama erscheint den Deutschen nun im Nachhinein als peinlicher Flirt mit einem Feind, der sich nur vorübergehend hinter einer trügerischen Maske verborgen habe. Mit der Wahl Trumps zum Präsidenten zeige Amerika wieder sein wahres, fratzenhaftes Gesicht.

In die klammheimliche Freude darüber, die faschistische Gefahr endlich wieder jenseits des Atlantiks verorten zu dürfen, mischte sich aber auch Unbehagen: Was, wenn Trumps Sieg den europäischen Wählern die letzten Zweifel daran nimmt, dass das Unglaubliche möglich ist, und sie in Scharen an die Wahlurnen strömen, um abgefeimten Rechtspopulisten vom gleichen Schlag ihre Stimme zu geben? Die Angst vor einem populistischen Dominoeffekt infolge der Trump-Wahl versetzte die liberale Machtelite Europas in Aufregung. Erst seitdem die Zitterpartien in Österreich, den Niederlanden und Frankreich ausgestanden sind, wiegt man sich wieder in Sicherheit vor dem Schreckgespenst des Populismus und rühmt sich, den amerikanischen Unkultur-Import, den dieser Logik zufolge Wahlsiege der Euro-Gegner bedeutet hätten, abgewehrt zu haben. In der FAZ hieß es vor einigen Tagen dementsprechend triumphierend:

»[Die] rechtspopulistische[n] Blütenträume sind verwelkt. Und das hat möglicherweise mit dem Mann zu tun, der am 8. November vergangenen Jahres zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden ist: mit Donald Trump. Seit ausführlich zu lesen und zu hören ist, was der unberechenbare, egomane Populist im Weißen Haus so alles von sich gibt, kommen selbst Wählern in Europa, die ansonsten dem politischen Establishment nicht viel Liebe entgegenbringen, Zweifel.« (1)

Dass den Wählern Zweifel am Programm der Populisten kommen, schreibt der Autor wohlgemerkt nicht einfach dem Abschreckungseffekt von Trumps Politik zu, sondern verbucht er ausdrücklich als den Erfolg seiner Kollegen im Meinungsbetrieb, die nämlich dafür gesorgt haben, dass in allen Blättern und auf allen Kanälen unisono »ausführlich zu lesen und zu hören ist«, was für ein unberechenbarer Egomane und Nationalist der amerikanische Präsident sei. Freilich würde dem FAZ-Autor für die Behauptung eines kausalen Zusammenhangs zwischen Trumps Politik und dem Wahlverhalten der Europäer auch jede sachliche Grundlage fehlen. Dass die rechten Parteien in Europa jüngst einige Schlappen hinnehmen mussten, sollte stattdessen darauf hindeuten, dass die Gleichung Trump = Hofer = Wilders = Le Pen von Anfang an nicht stimmte.

Dass Trump nicht nur mit rechten Oppositionspolitikern aller Länder, sondern auch mit Diktatoren und Autokraten aus aller Welt in einer Reihe genannt wird, lässt seine europäischen Gegner in noch hellerem Licht erscheinen. Seit deutsche und amerikanische Medien Angela Merkel zur »Anführerin der freien Welt« gekürt haben, die ein Europa repräsentiere, das von Diktatoren – nun auch amerikanischer Provenienz – umstellt sei, rüstet sich Deutschland wieder für die Großmachtpolitik auf globaler Ebene. Die Rolle der BRD als lediglich vermittelnde Friedensmacht ist Vergangenheit – und war ohnehin bloß Resultat der Machtlosigkeit, zu der das geteilte Deutschland nach zwei angezettelten und verlorenen Weltkriegen verurteilt war. Seit der Wiedervereinigung ist die Rede von der geläuterten, ihre Vergangenheit bewältigenden Friedensnation nur noch die – wenn auch immer lauter schallende – ideologische Melodie, die die Entwicklung von der wirtschaftlichen zur moralischen und politischen Supermacht begleitet. Die harte Hand gegen Griechenland und das weiche Herz für die Flüchtlinge haben Deutschland im EU-Raum unbeliebt gemacht, aber seine Hegemoniestellung in Europa besiegelt.

Für deutsche Geo-Strategen ist die Trump-Wahl dementsprechend nur scheinbar ein Skandal und in mancher Hinsicht sogar ein Glücksfall: Sind doch Trumps Protektionismus und seine Skepsis gegenüber der Europäischen Union auch eine Einladung an Deutschland, endgültig das Ruder zu übernehmen. In Trumps berüchtigtem Interview mit der Bild-Zeitung vom 15. Januar tönte er voller Geringschätzung: »[S]ehen Sie sich die Europäische Union an, die ist Deutschland. Im Grunde genommen ist die Europäische Union ein Mittel zum Zweck für Deutschland.« (2) Im gleichen Interview nannte er die NATO obsolet und äußerte Bedenken über die transatlantische Allianz. In den deutschen Medien wurden Trumps Auslassungen zwar als Kränkung aufgefasst. Aber nicht einmal einen Monat später zog Bundestagspräsident Norbert Lammert bei der Eröffnungsrede der 16. Bundesversammlung stellvertretend für die ganze deutsche Politik weitaus positivere Konsequenzen:

»Wer Abschottung anstelle von Weltoffenheit fordert, wer sich sprichwörtlich einmauert, wer statt auf Freihandel auf Protektionismus setzt und gegenüber der Zusammenarbeit der Staaten Isolationismus predigt, wer zum Programm erklärt ›Wir zuerst!‹, darf sich nicht wundern, wenn es ihm andere gleichtun – mit allen fatalen Nebenwirkungen für die internationalen Beziehungen, die uns aus dem 20. Jahrhundert hinreichend bekannt sein sollten.« (3)

Für diesen impliziten Nazi-Vergleich, bei dem man nicht ganz weiß, ob Lammert vor Amerika warnt oder mit Deutschland droht, erntete er frenetischen Beifall und standing ovations von den anwesenden Politikern aller Parteien und der gesamten Bundesregierung. »Die wirklich großen Herausforderungen können unter den Bedingungen der Globalisierung allesamt nicht mehr von den Nationalstaaten allein bewältigt werden, nicht in der Finanzwelt, nicht im Umgang mit den weltweiten Migrationsbewegungen, nicht im Kampf gegen den Terror oder gegen den Klimawandel« (4) – bekanntlich die zwei verheerendsten Naturkatastrophen unserer Zeit. So klingt das Einschwören auf supranationale Institutionen, die Deutschlands Vormachtstellung garantieren, und unter deren Flagge man allen nationalistisch verbohrten Eigenbrötlern fortan die Leviten lesen will.

»Wir Europäer werden nur durch das Teilen von Souveränität einen möglichst großen Rest von dem bewahren können, was früher[!] die Nationalstaaten mit Erfolg reklamierten und heute allenfalls rückwärtsgewandte[!] Zeitgenossen irrig[!] für sich beanspruchen, nämlich unabhängig von anderen die eigenen Angelegenheiten selbstständig regeln zu können.« (5)

Dass irgendein Staat souverän und unabhängig von anderen, also vor allem unabhängig von Deutschland, seine eigenen Angelegenheiten regeln will, wird gegeißelt als Ausweis ewiggestriger Borniertheit – die aktuell insbesondere in den osteuropäischen Ländern, die sich nicht ein drittes Mal in hundert Jahren von Deutschland in die Zange nehmen lassen wollen, lokalisiert wird. Lammerts rhetorischer Großangriff, diesmal an die Adresse der einstigen Supermächte, folgte sogleich:

»[W]enn […] weder der russische Staatspräsident noch der amerikanische Präsident ein Interesse an einem starken Europa erkennen lassen, ist dies ein zusätzliches Indiz dafür, dass wir selbst dieses Interesse an einem starken Europa haben müssen.« (6)

Abermals tosender, parteiübergreifender Applaus. So wurde Amerikas angekündigter Rückzug aus Europa als Chance ergriffen, im Namen einer starken Europäischen Union den letzten Verteidigern des souveränen, westlichen Nationalstaats an die Substanz zu gehen. Aber bei Amerika machte man selbstverständlich nicht halt. Auch das letzte Tabu deutscher Außenpolitik musste gebrochen werden: Frank-Walter Steinmeier, der wenige Minuten nach Norbert Lammerts Rede von der Bundesversammlung zum Bundespräsidenten gewählt worden war, legte bei seinem Antrittsbesuch in Israel einen Zwischenhalt in Ramallah ein und würdigte den Judenhasser und Terroristen Jassir Arafat mit einer Kranzniederlegung an dessen Grab. Bereits einige Wochen zuvor hatte ein deutsches Regierungsmitglied einen Eklat provoziert, um Israel ans Bein zu pinkeln: Sigmar Gabriel reiste ins gelobte Land, um sich mit europäisch finanzierten, antizionistischen Propagandavereinen zu treffen, hat sich davon durch Premierminister Netanjahu nicht abbringen lassen und wurde anschließend von ihm ausgeladen – was in deutschen Medien als Ausweis von Netanjahus intoleranter Gesinnung gewertet wurde. In einem beispiellosen Presseartikel hat Gabriel anschließend gegen den Judenstaat nachgetreten:

»Europa kann sich glücklich[!] schätzen, dass es nun im Angesicht der Gefahren durch den Nationalismus eine Renaissance der westlichen, seiner europäischen Werte erlebt. […] Der Lockruf des Nationalen erschöpft sich. Das darf nicht nur uns Deutsche beruhigen, sondern auch das Land, das ich anlässlich des Holocaustgedenktages besuche: Israel! Wie kein zweites Volk hatten die Juden in ihrer langen Geschichte unter Nationalismus und Chauvinismus zu leiden, gerade in Europa.« (7)

Für so singulär hält Gabriel deren Leiden dann aber doch nicht: »Sozialdemokraten waren wie Juden die ersten Opfer des Holocaustes«, schreibt er an gleicher Stelle. Dass nicht Sozialdemokraten, sondern Sozialdemokraten und Kommunisten die ersten Opfer der Nazis und nicht des Holocausts – also der Judenvernichtung –, waren, das wusste Gabriel natürlich. Aber dem Aufarbeitungsweltmeister ist keine noch so verrenkte Opferpose zu peinlich, solange er damit seine Arroganz auch und vor allem gegen die Juden durchdrücken kann.

»Europa und Israel wollen nicht wieder Opfer von Autokratie und Nationalismus werden. […] Israelis und Europäer sind nicht bereit, in einer ›ethnisch homogenen‹[!] Gesellschaft zu leben, so wie die Nationalisten das wollen. Der Patriotismus von Europäern und Israelis ist ein pluraler. In ihrer gemeinsamen Tradition ist für eine Politik kein Platz, die Minderheiten ausgrenzt[!] oder die sie vertreibt[!].« (8)

Diese geforderte Eingemeindung Israels in ein scheinbar pluralistisches und universalistisches Europa geht auf die Kosten des Judenstaats. Israel, das mit den meisten europäischen Ländern nur die Entsendung eines Kandidaten zum Eurovision Song Contest gemeinsam hat, soll endlich nach europäischen, also deutschen, Regeln spielen. Dass Gabriel orakelt, Israel könne – wie die Europäer – Opfer des alten Nationalismus werden, der damals die Juden zu Opfern gemacht hat und heute wieder aufkeime, ist die freche Behauptung, dass die nationalkonservativen Kräfte in Israel nichts geringeres als Nazi-Politik betreiben würden. Seine Unterstellung, dass es in Israel relevante Fraktionen gebe, die ethnische Homogenisierung und Vertreibung von Minderheiten im Programm hätten, ist aus dem Mund eines deutschen Außenministers eine offene Feinderklärung an den Staat der Holocaustüberlebenden im Namen des deutsch-europäischen Antinationalismus.

In Israel gibt es das Sprichwort: »Wenn Du nicht weißt, was Du machen sollst, frag die Europäer – und mach dann das Gegenteil.« Dass glücklicherweise nicht der gesamte Westen auf der europäischen Linie liegt, beweisen aktuell die Vereinigten Staaten. Nikki Haley, die ehemalige Gouverneurin von South Carolina, wurde von Trump zur UN-Botschafterin der USA ernannt. Bei einer Konferenz des American Israel Public Affairs Commitee am 28. März sprach sie in Bezug auf die antizionistische Agenda der Vereinten Nationen folgende Sätze, die Hoffnung machen für Israels Stand in der Weltpolitik:

»I wear high-heels. It’s not for a fashion statement. It’s because if I see something wrong, we’re going to kick ’em every single time. […] If you challenge us, be prepared for what you’re challenging us for, because we will respond. […] The days of Israel bashing are over. […] [F]or anyone that says you can’t get anything done at the U.N., they need to know there’s a new sheriff in town.« (9)

Thunder in Paradise

  1. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/brexit-und-trump-machen-den-populismus-weniger-attraktiv-15015056.html
  2. http://www.bild.de/bild-plus/politik/ausland/donald-trump/das-grosse-bild-interview-49790140.bild.html
  3. http://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden/2017/003/492714
  4. Ebd.
  5. Ebd.
  6. Ebd.
  7. http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/israel-und-deutschland-gemeinsam-gegen-nationalismus-a-1266004
  8. Ebd.
  9. https://www.unwatch.org/nikki-haleys-interview-at-aipac-policy-conference/
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