Unreine Wissenschaft. Zur kritischen Theorie der Medizin

Vortrag & Diskussion mit Magnus Klaue (Leipzig)
26. März 2022, 19:00 Uhr, Saalbau Titus-Forum, Walter-Möller-Platz 2

Seit März 2020 hat sich das Verhältnis der Bürger westlicher Staaten zur Medizin und zu deren Vertretern in umstürzender Weise verändert. Das häufig genug obskur begründete Mißtrauen gegen einen Berufsstand, dessen Vertreter im Fall sogenannter Kunstfehler, falscher Medikamentation und mißlungener Operationen nur selten erfolgreich verklagt werden können, ist einem verstockt-aggressiven, aber umso fanatischeren Glauben an »die Medizin«, »die Naturwissenschaft«, »die Zahlen«, »die Fakten«, Verlaufskurven, Inzidenzen und Hospitalisierungsraten gewichen. Was im Frühjahr 2020 noch als halbwegs rationale Reaktion auf eine pandemisch auftretende Viruserkrankung gedeutet werden konnte, ist ein Jahr später als Massenparanoia inklusive politisch gepäppeltem Denunziantentum, Todeswünschen gegen Abweichler, Euthanasiedrohungen gegen »Ungeimpfte« sowie geistigen Selbstabdankungen einst vernünftiger Menschen zu sich selbst gekommen.

Unter der Ägide von Virologen, Veterinär- und Intensivmedizinern findet eine staatlich angeleitete Transformation einstmals bürgerlicher Gesellschaften in Herden- und Rudelgemeinschaften statt, die auf dem Niveau fortgeschrittenster medizinischer und technologischer Entwicklung in a-soziale Verhaltensweisen regredieren, einander mißtrauisch aus dem Weg gehen, öffentliche Vergnügungen meiden, sich mit dem »Corona-Partner« in der Zweierzelle verschanzen, sich als Erregungsträger statt als soziale Wesen ansehen und wie Prepper in jedem Sommer die Notrationen für die Selbstisolation im Winter anlegen. Daß jeder medizinische Eingriff, eine Impfung ebenso wie ein Abstrich mit dem Wattestäbchen, eine Verletzung körperlicher Unversehrtheit darstellt und daher aus freiem Urteil gewonnene Zustimmung voraussetzt, ist in einer solchen Un-Gesellschaft längst vergessen. Im Gegenteil wird die routinemäßige Körperpenetration aggressiv libidinös besetzt: Von der Impfung wird wie von einer Droge als »Shot« gesprochen, während die durch den Notstand geschaffene, leiblich-medizinische Abhängigkeit der Bürger vom Staat durch Witze über den »goldenen Saft«, den man sich spritzen lässt, mühsam überspielt wird.

Vergessen wird bei alldem nicht nur, daß die Medizin eine humanwissenschaftliche und daher soziale Disziplin ist, die historisch immer doppelgesichtig war, weil ihr Gegenstand der im Dienst der Menschen vorgenommene Eingriff in den menschlichen Körper ist: Um zu heilen, muß man sich mit Tod und Krankheit auskennen. Vergessen wird zudem der Konnex von Leib und Geist, Trieb und Denken, dessen ärztliche Bedeutung von der Psychoanalyse herausgestellt wurde, die deshalb ebenso wie die Medizin weder Natur- noch Kulturwissenschaft ist. Der Vortrag wird die historische Dialektik der Medizin zu rekonstruieren suchen und die Kritische Theorie mit ihrem zwiegespaltenen Verhältnis zur Empirie und Naturwissenschaft als Sozialphilosophie exponieren, die es durch ihre Begriffe und ihre Denkform ebenso wie durch ihren historischen Ort ermöglicht, den Wahn auf den Begriff zu bringen, den die alltagssprachliche Formel »seit Corona« ausspricht und verleugnet.


Magnus Klaue ist freier Autor und arbeitet zurzeit an einer Biographie über Max Horkheimer. Er hat zahlreiche kritische Artikel zur Corona-Politik veröffentlicht, insbesondere in der Zeitschrift Bahamas und der Tageszeitung Die Welt. Im Berliner XS-Verlag erschien zuletzt Die Antiquiertheit des Sexus in zwei Bänden.


Eintritt: 3€.


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Die Veranstaltung ist Teil der Vortragsreihe Staat – Gesundheit – Subjekt.

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